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Ordens­leben

Die Ordensleute, was sind sie? Die Elite unter den Christen oder eine Randgruppe? Privilegierte oder Zukurzgekommene? Ein unerreichbares Ideal oder «das Letzte», was «man» sein möchte?

Weder das eine noch das andere. Und zwar nicht deswegen, weil Ordensleben und Radikalität sich ausschlössen, im Gegenteil, sondern weil die Fragestellung verkehrt ist. Vermutlich aber wird häufig in ähnlicher Weise gefragt und vorzüglich die Frage nach dem Lebenssinn der Ordensleute mit vielen Vorbehalten gestellt.

Und nicht zu Recht? Die Ordensleute werden heute nicht mehr als die Mitglieder eines höheren Standes gesehen und wegen ihres entbehrungsreichen Lebens bewundert. Vor allem aber braucht es für die Menschen von heute längst nicht mehr den Hintergrund eines Ordensverbandes, um sozial-karitativ oder pastoral tätig zu sein. Viele sind der Ansicht, dass sie es «draussen» besser verwirklichen können – dieses Das, wozu sie sich berufen fühlen. Aber dann wenigstens das Leben in einem sogenannt geschlossenen Kloster? Wo keine Leistungen abverlangt werden, wo die Zeit da ist zur Versenkung und Meditation? Selbst hier stellen sich bedeutende Zweifel ein in Bezug auf die Lebensart dieser Klöster. Und angesichts beider Formen ist es immer wieder die Frage: aber warum sich für sein ganzes Leben verpflichten?

Berufen fühlen sich viele, berufen zu etwas anderem als bloss zu Karriere machen und Geld verdienen, eine Familie zu gründen und gut bürgerlich weiterzuleben. Berufen, aber wozu?

Nachfolge Jesu
«Kommt und seht» (Joh 1,35–39)

Die Antwort können wir uns nie selber geben. Die Antwort kann nur von dort kommen, von wo die Berufung ergeht. Es ist das, was einen Menschen bewegt, sein Leben nicht mehr selbstmächtig in die Hand zu nehmen, sondern zur Verfügung zu sein für den jeweiligen Ruf an ihn. Es ist etwas von dem, was die ersten Jünger Jesu erfuhren, als sie auf ihre Frage «Meister, wo wohnst du?» die Antwort erhielten: «Kommt und seht», und wo sie dann hingingen und «jenen Tag bei ihm blieben».

Und nicht nur jenen Tag. Sie folgten Jesus, wohin immer er ging. Es wurde für sie der Entscheid ihres Lebens. «Kommt und seht!» Das Wort Jesu fasziniert und nimmt gefangen. Seine Person wird zum Inhalt des Lebens. Es ist ein Setzen auf eine einzige Karte, wie es der Kaufmann im Evangelium mit der kostbaren Perle tut (Mt 13,45f.). Es grenzt an Torheit. Zumal die Antwort auf diesen Ruf ohne Verzweckung erfolgt: Nicht, um der Menschheit zu dienen, nicht, um diese und jene wichtige apostolische Aufgabe zu erfüllen, gehen sie dahin «wo er wohnt». Es ist ein innerer Ruf, nicht definierbar, nicht erklärbar, aber mächtig genug, das Innerste eines Menschen in Bewegung zu bringen.

Weil dieser Ruf im innersten Herzen vernommen wird, ist die Antwort darauf weit entfernt von einem heroischen Akt, von einer selbst zustande gebrachten Leistung. Denn wer könnte, in seinem Innersten berührt, etwas anderes tun als voll Freude sich öffnen und fort und fort sich beschenken lassen? Nur Verliebte können es begreifen.

Das Evangelium leben

Nachfolge Jesu so verstanden will nichts als das Evangelium leben. Und zwar das ganze Evangelium. Es geht nicht bloss darum, einzelne Sätze des Evangeliums besonders ernst zu nehmen z. B. jene der sogenannten Räte. Wenn die Gelübde und die übrigen Inhalte eines Ordenslebens nicht in eine immer mehr von den zentralen Stellen des Evangeliums geprägte Existenz münden, verlieren sie ihren Sinn. «Letzte Norm des Ordenslebens ist die im Evangelium dargelegte Nachfolge Christi» (Perfectae Caritatis 2). Diese Aussage des II. Vatikanums ist nichts anderes als eine Bekräftigung dessen, was die grossen Ordensstifter gewollt haben. Ordensleute haben Zeugen für die totale Entscheidung für das Evangelium zu sein, nicht nur durch ihre Taten, sondern durch ihre ganze Existenz.

Vom Evangelium gestiftete Gemeinschaft

So wie eine der grossen Nöte des heutigen Menschen die Erfahrung von Isoliert- und Verlassensein ist, so ist eines seiner starken Bedürfnisse die Erfahrung von menschlicher Gemeinschaft. Nun ist die Ordensgemeinschaft die Gruppe von Menschen, die ein solches Leben verwirklichen will. Das Evangelium selbst als Zusage der vergebenden Liebe Gottes stiftet Gemeinschaft. Die Ordensleute könnten es nicht aus sich. Gemeinschaftliches Leben kann nicht einfach geprobt, erobert und schliesslich zum Besitz gemacht werden. Es kann nur stets neu geschenkt werden, immer neu vergebens. Wir Menschen stolpern bereits über die Grundvoraussetzungen. Wir zählen, statt dass wir grossmütig gäben. «Wie oft soll ich meinem Bruder, meiner Schwester vergeben? Bis zu siebenmal?» (Mt 18,21). Die Antwort darauf ist das Leben Jesu. Er ist gekommen, Gottes Vergebung anzubieten, in seinem Wort, in seinen Taten, in seinem Tod. «Versteht ihr, was ich euch getan habe? Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr tut, wie ich euch getan habe» (Joh 13,12–15).

Wenn sich die Ordensleute immer wieder aufmachen, ihrem Herrn auf diesem Weg zu folgen, kann wahre Gemeinschaft leben, wird sie Dauer haben, ohne abgegriffen zu werden, und wird sie Zeichen des Volkes Gottes inmitten einer Welt der menschlichen Isolierung und Verlassenheit.

Dass in solcher Gemeinschaft auch alles andere möglich wird, was wir von ihr erwarten, ergibt sich dann von selbst. Nicht nur materielle Güter werden gemeinsam. Sondern Ordensleute teilen ihren Glauben, indem sie sich mitteilen. Sie teilen ihr Herz, indem sie Anteil nehmen. Sie teilen ihre Talente, indem sie sich beteiligen da, wo die Bedürfnisse sind.

Aber da Ordensleute immer erst auf dem Weg sind, gelingt dieses so dargestellte Leben nicht immer und nicht überall. Das Miteinanderleben kann zu einem mühsamen Ertragen oder gar zur schweren Belastung werden. Wo Menschen eng zusammenleben wie in den Klöstern, kommt es leicht zu Spannungen und Konflikten. Nicht immer ist nach Versagen und Schuld zu suchen. Wo Leben ist, muss es Konflikte und Spannungen geben. Aber sie dürfen nicht zugedeckt oder verwischt werden, sondern sollen ehrlich und geduldig ausgetragen werden.

Das Ordensleben, ein sichtbares Zeichen der Liebe Gottes zu den Menschen. Die Klöster, ein Ort des Sorgetragens um alles, was den Menschen betrifft, ein Ort des Sich-Mitteilens, Ort der Feinfühligkeit und vor allem Ort der Versöhnung. Das ist die Erwartung an jede Ordensgemeinschaft. Wenn das verwirklicht wird, werden die Klöster zum wahren Ort der Begegnung. Hier können sich Menschen verschiedenen Alters und verschiedener Lebensumstände wohl fühlen, weil sie sich angenommen erfahren in einer Atmosphäre des Vertrauens.

Und dies nicht nur nach aussen, sondern auch nach innen: In einer Ordensgemeinschaft leben Angehörige mehrerer verschiedener Nationalitäten zusammen. Im Kloster leben die Ordensleute überhaupt eng zusammen, sind aufeinander angewiesen, voneinander abhängig. Wenn das die Menschen sehen, hilft es ihnen in ihren eigenen ähnlichen Problemen. – In vielen Klöstern ist Raum für Behinderte, für nicht voll einsatzfähige Personen, denen eine ihren Kräften angepasste Verdienstmöglichkeit geboten wird. In einigen Gemeinschaften werden auch Menschen, die im Leben gestrandet sind oder die am Rande leben, so lange aufgenommen, wie es möglich ist. Nicht wenige Ordensgemeinschaften sind der Ort, wo die Menschen der verschiedenen christlichen Kirchen sich begegnen, ins Gespräch kommen und miteinander beten und feiern.

Gemeinsam beten und feiern! Diesem starken Bedürfnis der heutigen Menschen wird wohl in allen Klöstern entgegengekommen, sei’s durch die Einladung zur Teilnahme am Gottesdienst und an der Meditation, sei’s durch Feste, anlässlich eines besonderen Ereignisses in der Gemeinschaft oder in den von den Ordensleuten betreuten Institutionen und die oft ein ganzes Quartier, ein Dorf oder eine ganze Region versammeln.

Die Ordensgemeinschaften, ein Zeichen für das Zusammenleben der Menschen in gegenseitiger Achtung und Versöhnlichkeit!

Kein Einheitsmodell

Obwohl für alle Ordensgemeinschaften und für alle Ordenschristen das Evangelium Richtschnur und «letzte Norm» ist, so gibt es doch kein einheitliches Modell eines Ordenslebens. Gerade weil das Evangelium diesem Leben Inhalt gibt, ist sein ganzer Reichtum darin wirksam, gibt es eine beeindruckende Vielfalt in der Realisierung. Und was für die vielen Ordensgemeinschaften gesagt ist, gilt auch für alle Ordenleute – seien sie nun der kontemplativen (beschaulich) bzw. monastischen (asketisch und ortsgebunden) oder der apostolischen (aktiv tätigen) bzw. gemeinschaftlichen Lebensform verpflichtet: Es gibt keine sterile Uniformität, sondern jeder Ordenschrist lebt aus der Spannung zwischen der Theorie des Ordenslebens und der persönlich verwirklichten Nachfolge Jesu.

Es liegt wohl auf der Hand, dass die glückliche Verbindung von persönlicher Nachfolge und gemeinschaftlichem Leben nicht ganz leicht ist. Aber gerade das Gemeinschaftsleben gehört wesentlich zum Ordensleben.

Mut zu Unrentablem

Eine vom Evangelium gestiftete Gemeinschaft muss vom Evangelium leben. Im Zentrum jeder Ordensgemeinschaft steht die gemeinsam gefeierte Liturgie als Eucharistie und als Stundengebet und steht die Betrachtung des Wortes Gottes in persönlicher Meditation und im Gebet. Und dies täglich. Jede Tagesordnung behält sich so und so viele Stunden vor für dieses völlig unverzweckte Tun. «Wozu diese Verschwendung?» (Mt 26,8). Das ist die Frage vieler in einer Gesellschaft, die nur nach der Rendite fragt und «Shareholder-Value» als oberstes zu erreichendes Ziel gesetzt hat.

Jene Frau mit dem Alabastergefäss, die ihr Öl verschwenderisch über Jesus ausgoss, wird von den Anwesenden getadelt, von Jesus aber bestätigt. «Was kränkt ihr diese Frau? Sie hat ein gutes Werk an mir getan» (Mt 26,6–13). Ordensleute haben den Mut, ihr kostbares Öl, ihre Zeit nämlich, auf diese Weise zu verschwenden. Ob die Arbeit drängt oder nicht, jeden Tag schenken sie sich die Zeit zum Verweilen bei dem, der ihr Leben in Bewegung gebracht hat. Auch hier gilt wiederum: nur Verliebte können es begreifen.

Dieses kostbare Öl: Zeit, verschwendet, um beim Herrn zu sein. Die Zeit eines ganzen Lebens hingegeben für den absoluten Anspruch Gottes. Ein Leben zur Verfügung gestellt, nicht als Befolgung eines Befehls, nicht als Vollzug eines Gesetzes, sondern einfach als Antwort auf Gottes Anruf, wie er in diesem Jesus von Nazareth unmissverständlich und sehr persönlich an den einzelnen ergeht. Keine andere Antwort ist diesem Ruf adäquat als eben die restlose Übergabe seiner selbst. Auf die Erfahrung des Geliebt-Seins kann nur mit Lieben geantwortet werden. Darin liegt das Geheimnis dieser Verschwendung.

Das Öl in den Händen der Frauen des Evangeliums ist immer im Zusammenhang mit dem Leiden und Tod Jesu gesehen (Mt 26,12; Mk 14,8; Joh 12,7; Lk 23,5; Mk 16,1). So wie Jesus in seiner Selbstentäusserung (Phil 2,7) müssen auch die, die ihr Öl an Jesus verschwenden, bereit sein, sich ausliefern zu lassen. Das ist die Mystik, ohne die ein Ordensleben nicht auskommt. Und wenn das soeben Gesagte besonders stark für die kontemplativen Ordenschristen gilt, jene Ordensleute also, die keine direkte apostolische Tätigkeit haben, so gilt aber auch, dass kein Ordensleben ohne diese Mystik Bestand hat. «Wozu diese Verschwendung?» – «Lasst sie, sie hat ein gutes Werk an mir getan. Arme habt ihr allzeit bei euch und könnt ihnen Gutes tun, sooft ihr wollt, mich aber habt ihr nicht allezeit» (Mk 14,6f.).

Die Gelübde: Arm, jungfräulich, gehorsam

Provozierende Attribute sind das, diese Inhalte der sogenannten Räte oder Gelübde (auch Profess genannt). Was heisst schon arm, heute in unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft? Was soll das, jungfräulich? Und mit «Gehorsam-Sein» verbinden die meisten ziemlich ungute Gefühle und die Erinnerung an fragwürdige Ausformungen.

Und doch bekennt sich jeder Ordenschrist dazu, und dies sogar öffentlich und in aller Freiwilligkeit, indem er sich in besonderem Masse der Nachfolge Christi und der Verwirklichung des Reiches Gottes weiht. Im Gelübde (so steht es jedenfalls in den meisten Formeln) erklärt er feierlich, arm, jungfräulich und gehorsam («evangelische Räte») sein zu wollen (die Jesuiten legen nach längerer Zugehörigkeit das sog. «Vierte Gelübde» – Gehorsam gegenüber dem Papst – ab). Der Öffentlichkeitscharakter ist wesentlich. Was jeden Christen betroffen machen muss, wird vom Ordenschristen sichtbar gemacht. Daher auch die Verantwortung, die die Ordensleute den Laien gegenüber haben. Letztere wären enttäuscht, wenn ein solches Leben missglückte. Das Gelübde bindet jeden Ordenschristen zunächst für ein begrenzte Zeit (üblicherweise 3 Jahre) und später lebenslang an seine Gemeinschaft oder seinen Orden. Einzelne Kongregationen kennen aber auch die regelmässige Erneuerung det Gelübde bis ans Lebensende.

Arm-Sein im Orden kann richtig nur verstanden werden im Zusammenhang mit dem Kommen des Reiches Gottes. Es geht um die ständige Bereitschaft, sofort mitgehen zu können, wenn der Herr kommt. Alles, was das Herz spaltet, was die eigene Freiheit begrenzt, muss weggegeben werden. Das unmittelbar bevorstehende Kommen des Reiches Gottes muss das Verhalten der Ordenschristen bestimmen. Dabei geht es nicht bloss um eine geistig-ideelle Haltung, sondern es muss sichtbar werden auch im Handeln an den Mitmenschen. Zum Beispiel so, dass die Ordensleute, die um des Evangeliums willen arm sind, sich solidarisch erklären mit jenen, die gezwungen arm sind. Von daher hat die Armut einer Ordensgemeinschaft eine politische Dimension. Was die Ordensleute durch ihre Arbeit verdienen und was sie als Kommunität durch ihren einfachen Lebensstil frei machen, muss für den Dienst an den Menschen eingesetzt werden, besonders im Kampf gegen Elend und Unterdrückung. Das Gelübde der Armut ist kein Gelübde der Sparsamkeit des einzelnen, sondern hat von der Gemeinschaft her ein evangelisches Zeichen zu sein, das die Menschen, vorzüglich die Armen, zu deuten vermögen.

Was eingangs vom Armsein gesagt wurde, gilt ebenso für das Jungfräulich-Sein oder die Ehelosigkeit um des Reiches Gottes willen. Es geht um die ständige Bereitschaft für das Kommen des Herrn. Und da jungfräulich leben reines Geschenk ist (Armut und Gehorsam ergeben sich bereits aus unserer Abhängigkeit als Geschöpfe), gehört es in den innersten Kern der Ordensberufung. Der jungfräuliche Mensch ist berufen, dem Menschen nahe zu sein, gerade dem elendesten, isoliertesten, verzweifeltsten Menschen so nahe zu sein, wie das nur möglich ist aus einer tiefen Gotteserfahrung heraus. Vielleicht durch nichts so sehr als durch das Jungfräulich-Leben wird der Ordenschrist berufen, dem Menschen das zu verkörpern, was Jesus mit dem Himmelreich meint. Nicht auf den Himmel vertrösten, sondern dem Geringsten (Mt 25,40) so nahe stehen, dass dieser Erfahrung des Himmels machen kann. Das jungfräuliche Leben macht aus dem Ordenschristen kein schwebendes Wesen, sondern ein zentrales Stück Welt, ja des Herzens der Welt, so dass überall und in jeder Situation die Menschen sich verstanden erfahren in ihrer Sprache der Tränen und der Freude, der Sünde und der Sehnsucht nach Befreiung.

Der Gehorsam der Ordensleute ist kein blosses Ausführen von Befehlen. Er hat vielmehr seine Wurzel im Gehorsam Jesu dem Vater gegenüber. Das ist die Lebenserfahrung des gehorsamen Menschen: Gott ist die Liebe. Den Willen Gottes zu erkennen und zu erfüllen, ist die Leidenschaft des Ordenschristen. Ordensleute sind beständig Hörende. Es geht um ein wachsames Hinhorchen auf die Menschen und ihre Bedürfnisse. Nicht nur der einzelnen Ordensfrau, dem einzelnen Ordensmann, sondern der Gemeinschaft als solcher ist es aufgetragen, hinzuhören und daraus konsequent zu handeln. Durch den Ordensgehorsam wollen die Ordensleute auch bekunden, dass es ihnen nicht um Machtanspruch geht, nicht um Gewalt und um Beherrschen der andern. Der gehorsame Mensch will vielmehr demütig und gewaltlos im Dienst am Mitmenschen leben, immer in der Nachfolge des gehorsamen, demütigen und gewaltlosen Jesus. Deshalb ist er, wie Jesus, verwundbar.

Auftrag in Kirche und Gesellschaft

Gemeinsam mit der Kirche…

Was selbstverständlich sein dürfte und trotzdem oft nicht im Bewusstsein ist: die Ordensgemeinschaften sind ein Stück Kirche und sind vollkommen in diese eingebunden, auch wenn sie im Gegensatz zum Weltklerus (der den Diözesen zugeordnet ist) andere Wesensarten leben und meist von der bischöflichen Jurisdiktion befreit sind. Ihre ganze Existenz, die der Gemeinschaft und die des einzelnen, ist nur innerhalb der Kirche denkbar. Sie verkörpern allein durch ihre Präsenz Kirche. Orden sind also nicht nur «nützlich», weil sie zahlreiche seelsorgerliche sowie sozial-karitative Dienste erfüllen und gar als Lückenbüsser für fehlende Seelsorger einspringen: Ihr erster Auftrag ist, Kirche Jesu Christi zu sein, das heisst Gabe und Aufgabe in einem: Geschenk des Heiligen Geistes mit der Mission, diesen Geist Jesu Christi Fleisch werden zu lassen in der konkreten Gestalt dieser Welt innerhalb der Kirche dieser Zeit. Ordensleben ist kein «Stand» im Sinne einer unverrückbaren Stabilität, sondern eine nicht nachlassende Bereitschaft, sichtbares Zeichen der Menschwerdung Gottes zu werden. Es kann dies nur geschehen in der bedingungslosen Armut dessen, der nichts hat, sondern alles empfängt.

Dieses wesentliche Kirche-Sein der Orden ist die Ursache für eine fruchtbare Spannung zwischen der kirchlichen Hierarchie und den Orden. Die Kirche braucht notwendig immer wieder Initiativen, sie braucht Kritik und Reform. Gerade in den Gestalten der Ordensgründer wird das sichtbar: Wenn der heilige Benedikt ein Kloster gründet, wenn Franz von Assisi mit einigen Getreuen eine völlig neue Lebensart beginnt, eine Teresa von Avila den Karmel reformiert und Mary Ward ihre Frauen auf neue Wege des Apostolats schickt, so haben sie alle den Auftrag dazu nicht von der Hierarchie bekommen. Im Gegenteil, sie hatten z. T. sogar grosse Schwierigkeiten mit den kirchlichen Stellen zu überwinden. Solche Einbrüche des Heiligen Geistes kamen und kommen der Kirche heute noch sehr oft durch die Orden. Es ist dies die prophetische Funktion der Orden, ohne die die Kirche nicht auskommt. Die Kirche braucht die Impulse dieser leidenschaftlich fürs Evangelium eingenommenen Menschen. Auch Menschen, die im «Leben stehen», eine Familie haben und einem normalen Berufsleben nachgegen haben die prophetische Dimension der Ordensspiritualität erkannt und engagieren in sog. «Dritten Orden» (üblicherweise ein eher formeller Zusammenschluss von Menschen, die sich einer Ordensspiritualität verpflichtet fühlen, aber ihr weltliches und soziales Umfeld nicht verlassen), in Freundeskreisen oder Jugendbewegungen (beide eher mit informellen Charakter und auf neuen Wegen die Nachfolge Jesu verwirklichend). Auch aus diesen Gruppierungen erwächst den Orden ihre Dynamik.

… Solidarisch in der Gesellschaft

In den Ordensgemeinschaften wird der Raum geschaffen für jene Freiheit, die es möglich macht, mitten in der Kirche und mitten in der Gesellschaft, trotz Institutionen, Gesetzen und Verhaltensvorschriften den Finger auf die Wunden derselben Kirche und Gesellschaft zu legen und Wege zum Heilen und zur Erneuerung einzuschlagen. Eine Frau von solchem Mut war z. B. die Dominikanerin Caterina von Siena. Oder man denke an die Unerschrockenheit vieler Ordensfrauen und Ordensmänner heute in Lateinamerika und Afrika, die sich unermüdlich für die Rechte der geknechteten Menschen einsetzen und dabei von den Regierenden als subversiv bezeichnet und verfolgt werden. Es kostet sie oft genug Freiheit und Leben. Dabei sind es gerade sie, die durch dieses ihr Leben eine Freiheit dokumentieren, die nur aus dem Evangelium möglich ist. Oder denken wir an die Ordensleute, die heute in Europa sich mit Ausgeschlossenen (Strassenkindern, Obdachlosen, Drogenabhängigen, Prostituierten…) solidarisieren und zusammen mit diesen Menschen an deren Reintegration in die Gesellschaft arbeiten und sich damit für den Respekt der Menschenwürde einsetzen: «Was ihr dem Geringsten meiner Brüder, meiner Schwestern getan habt, habt ihr an mir getan.»

Es gibt sie also heute noch, diese Frauen und Männer, eigentliche Prophetinnen und Propheten, die sich so sehr mit dem Evangelium eingelassen haben, dass sie bereit sind, sich zu ändern und andere und anderes zu verändern, die, selbst von Gott in Bewegung gebracht, die Kirche in Bewegung bringen.

Wege ins Kloster

Gerade deshalb bedarf der Eintritt ins Ordensleben auch einer schrittweisen und behutsamen Einführung, bei der beide Seiten sich immer einer Evaluation des Erreichten und des zu Erreichenden unterziehen. Neben den spirituellen Voraussetzungen sind aber auch ganz praktische Bedingungen zu erfüllen. So sollen hier stellvertretend für die Etappen der Einführung ins Klosterleben sollen hier beispielhaft die Ausbildungswege der Dominikaner in der Schweiz und der Dominikanerinnen von Ilanz beschrieben werden:

Das Mindestalter für den Eintritt in den Orden der Dominikaner liegt bei 18 Jahren; verlangt wird ein abgeschlossenes Gymnasialstudium, das den Zugang zur Universität ermöglicht. In Ausnahmefällen genügt auch eine abgeschlossene Berufslehre. Bevor das Noviziat beginnt (mindestens ein Jahr zum gegenseitigen Kennen-Lernen und zur Einführung ins Ordensleben), stehen die Kandidaten während einigen Monaten in regelmässigen Kontakt mit den Ordensverantwortlichen, der sog. «Postulats-Zeit». Nach dem Noviziat in einer dafür bestimmten Gemeinschaft, das üblicherweise aus einer ordensinternen Ausbildung besteht und auch Praktika umfasst, legen die Novizen die einfachen Gelübde für 3 Jahre ab (sie können bis auf 6 Jahre verlängert werden). In dieser Zeit widmen sich die Brüder dem (Weiter-)Studium der Theologie, das Voraussetzung für die Priesterweihe ist, und vervollständigen ihre ordensinterne Weiterbildung. Nach der Zeit der einfachen Gelübde legt der Kandidat die ewige Profess ab, die ihn lebenslang an den Orden bindet. Erst danach und nach abgeschlossenem Universitäts-Studium kann die Diakonats- und Priesterweihe stattfinden.

Bei den Dominikanerinnen von Ilanz liegt das Mindestalter für den Eintritt ebenfalls bei 18 Jahren; erwünscht ist eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine andere abgeschlossene Ausbildung. Vor dem zweijährigen Noviziat, stehen die Kandidatinnen über einige Zeit in Kontakt mit den Ordensverantwortlichen und leben während etwa einem halben Jahr, der sog. «Postulats-Zeit», in einer Gemeinschaft mit. Nach der ordensinternen Ausbildung, dem Noviziat, legt die Novizin die Gelübde für 3 Jahre ab. Sie können bis auf 9 Jahre verlängert werden. In dieser Zeit widmet sich die Schwester der Weiterbildung oder sie arbeitet in ihrem angestammten Beruf. Nach der Zeit der einfachen Gelübde legt die Schwester ewige Profess ab, die sie lebenslang an den Orden bindet.

Vieles von dem hier Dargelegten ist mehr Ideal als Wirklichkeit. Vieles ist Entwurf und nicht eingeholt. Aber gehört nicht gerade diese Tatsache zum wahrhaft Menschlichen und vor allem zum echt Christlichen? Wenn wir nicht mehr fähig sind, über unsere Grenzen hinauszudenken oder auch bloss zu träumen, dann begeben wir uns dessen, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Und vor allem gilt für jeden Ordenschristen das tägliche Neu-Aufbrechen, das Sich-immer-wieder-auf-den-Weg-Machen. Das bringt in sein Leben und in die ganze Gemeinschaft jene Dynamik, die nie mit dem Erreichten zufrieden sein lässt und die immer offen ist für Neues, Unerprobtes, für Veränderung.

Sr. Raphaela Gasser, Dominikanerin, Ilanz
Bearbeitung: René Aebischer